Triage in der Corona-Pandemie
Mit steigenden Infektionszahlen treten auch vermehrt schwere Covid-19-Verläufe auf. Die Folge: Gerade Intensivbetten werden zeitweise knapp. Benötigten dann mehr Patienten solche Betten, als zur Verfügung stehen, müssten Ärzte „triagieren“ - also auswählen, wen sie intensivmedizinisch behandeln können und wen nicht.
Um eine solche Triage-Situation zu vermeiden, versuchen die Kliniken, die Intensivstationen zu entlasten: Sie verschieben nicht-akute Operationen und verlegen Patienten in Kliniken mit mehr Kapazitäten.
Erst wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, wenden Ärzte die Triage an. Hierfür hat die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) eine Empfehlung eigens für die Covid-19-Pandemie zusammengestellt. Auf diese Weise will man Todesfälle aufgrund knapper Ressourcen verhindern.
Wie funktioniert die Triage im Krankenhaus?
Bei der klinischen Triage geht es vor allem um eines: die Genesungschancen der schwer Erkrankten. Um diese bestmöglich einzuschätzen zu können, stehen idealerweise umfassende Informationen über die einzelnen Patienten zur Verfügung. Dazu gehören:
- Allgemeinzustand, Gebrechlichkeit (z.B. anhand der sog. Clinical Frailty Scale)
- weitere bestehende Erkrankungen (Komorbiditäten), die die Erfolgsaussichten einschränken
- aktuelle Laborwerte
- Zustand der Organfunktionen (z.B. Atemtätigkeit, Leber- und Nierenfunktion, Herz-Kreislauf-Leistung, Funktion des Zentralen Nervensystems)
- bisheriger Verlauf einer Erkrankung
- Ansprechen auf die bisherige Therapie
Zudem fließen aktuelle Erfahrungen und Erkenntnisse in die Beurteilung ein, etwa zum Verlauf einer Krankheit in bestimmten Situationen. Das heißt auch: Die zuständigen Fachkräfte triagieren immer wieder aufs Neue. Bereits getroffene Entscheidungen passen sie bei Bedarf an, etwa wenn sich neue Behandlungsoptionen ergeben.
Prinzip der Gleichbehandlung in der Triage
Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) betont in ihren Empfehlungen das Gleichheitsgebot. Beispielsweise dürfen soziale Merkmale wie Alter, Geschlecht, Wohnort, Nationalität, ethnische oder religiöse Zugehörigkeit, gesellschaftliche Stellung oder der Versicherungsstatus die Triage nicht beeinflussen. Gleiches gilt für Grunderkrankungen oder Behinderungen.
Auch das Selbstverschulden oder der Impfstatus sollen keine Rolle spielen. In der aktuellen Situation bedeutet das: Geimpfte werden gegenüber ungeimpften Patienten nicht bevorzugt. Außerdem beurteilt das Behandlungsteam immer alle schwer Erkrankte. Während der Corona-Pandemie findet die Triage also nicht nur bei Covid-19-Patienten statt.
Was sagt das Bundesverfassungsgericht?
Am 28. Dezember 2021 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Gesetzgeber konkrete Vorkehrungen treffen muss, um behinderte Menschen für den Fall einer pandemiebedingt auftretenden Triage zu schützen. Geklagt hatten mehrere Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen.
Ihre Sorge: Ärzte könnten behinderte und grunderkrankte Personen vorschnell von einer intensivmedizinischen Behandlung ausschließen, weil sie womöglich pauschal und stereotyp geringere Erfolgsaussichten für deren Genesung annehmen. Ein solches Risiko würden nach Einschätzung des Gerichts auch die aktuellen DIVI-Empfehlungen nicht beseitigen. Zudem seien diese rechtlich nicht bindend.
Die geforderte gesetzliche Regelung soll sicherstellen, dass Mediziner allein nach der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit entscheiden - unabhängig von der langfristig erwartbaren Lebenszeit. Behindertenverbände, Mediziner und Politiker begrüßten den Beschluss. Die DIVI kündigte an, die aktuellen Empfehlungen zu präzisieren.
Der Wille des Patienten
Bei der Triage kommt auch der Willen des Patienten zum Tragen. Möchte ein Patient keine intensivmedizinische Behandlung, wird er entsprechend nicht intensivmedizinisch versorgt. Das gilt auch dann, wenn er bessere Überlebenschancen hätte als andere.
Kann der Patient seinen Willen diesbezüglich nicht mehr äußern, greifen die Ärzte auf Patientenverfügungen oder Aussagen der Angehörigen zurück.
Einstellen der Intensivbehandlung
Die Triage findet nicht nur unter Patienten statt, die akut in der Klinik eintreffen. Sie bezieht auch diejenigen mit ein, die bereits intensivmedizinisch behandelt werden. Möglicherweise treffen Ärzte dann den Entschluss, die Intensivtherapie (z.B. Beatmung) bei einer Person zu beenden.
Eine solche Entscheidung ist ethisch besonders schwierig, gesetzliche Vorgaben gibt es derzeit nicht. Die Entscheidung liegt bei den behandelnden Ärzten. Sie betrachten dabei insbesondere den bisherigen Verlauf und den aktuellen Zustand des Patienten.
Dabei beschäftigen sie sich mit Fragen wie: Arbeiten Leber und Nieren noch ausreichend oder versagen deren Funktionen? Wie stabil sind Atmung und Kreislauf? Wie wahrscheinlich ist es, dass die laufende Therapie noch Erfolg hat?
Wer fällt die Entscheidung bei der Triage im Krankenhaus?
Die Triage erfolgt immer unter dem Mehraugen-Prinzip. Nach den Empfehlungen der DIVI sind daran Fachleute verschiedener Disziplinen beteiligt:
- möglichst zwei intensivmedizinisch erfahrene Ärzte aus idealerweise verschiedenen Fachbereichen
- möglichst ein erfahrener Vertreter der Pflegenden
- weitere Fachvertreter (z.B. klinische Ethiker)
Dieses Vorgehen berücksichtigt also mehrere Blickwinkel. Das soll sicherstellen, dass es sich um eine faire und gut begründete Entscheidung handelt. Zudem entlastet es den einzelnen Entscheider, für den der Prozess eine enorme emotionale und moralische Herausforderung bedeutet.
Maßnahmen zur Vermeidung von Triage im Krankenhaus
Um Intensivstationen zu entlasten und so Triage-Situationen zu vermeiden, ergreifen die Krankenhäuser im Vorfeld verschiedene Maßnahmen.
Verschieben nicht dringlicher Behandlungen in der Triage
Kliniken verschieben Behandlungen, die nicht unbedingt erforderlich sind. Auch das ist bereits eine Form der Triage. Voraussetzung ist, dass die Verzögerung die Prognose nicht verschlechtert, der Gesundheit irreversibel schadet oder den vorzeitigen Tod begünstigt.
In tragischen Fällen könnte eine Verschiebung allerdings doch schwerwiegende Folgen haben. Beispielsweise könnten sich Krebszellen zwischenzeitlich absetzen (metastasieren), wenn eine Krebs-OP erst später erfolgt, oder ein ausgesacktes Gefäß (Aneurysma) unerwartet platzen.
Verlegung von Patienten aufgrund drohender Triage
Nicht überall gibt es (intensiv)medizinische Engpässe. Patienten werden dann in andere, teils auch weiter entferntere Kliniken transportiert, die noch Kapazitäten haben. Entscheidend ist, wie stabil die Betreffenden sind. Ärzte verlegen auch bereits aufgenommene Patienten, um Platz für nicht verlegungsfähige neue Patienten zu machen.
Solche Verlegungen betreffen nicht nur Covid-19-Patienten, sondern auch alle anderen Intensivbetreuten.
Grundsätzlich versucht das zuständige medizinische Personal immer, schwierige Situationen bestmöglich zu überbrücken. Notfalls versorgen Ärzte und Pflegende schwer kranke Personen, soweit und solange wie möglich, auch außerhalb von Intensivstationen.