Der Regisseur Matthias Glasner scheint sich vorgenommen zu haben, nach und nach alle Formen des abweichenden und verbotenen Sexualverhaltens in seinen Filmen künstlerisch durchzudeklinieren – so ähnlich wie es einst Kieslowski mit den zehn Geboten getan hat.
In „Der freie Wille“, dem Skandalfilm der Berlinale 2006, erzählte Glasner schon die Geschichte eines Vergewaltigers mit einer gewissen Sympathie für die unausweichlichen Zwänge des Täters. Jetzt spielt Jens Albinus in „This Is Love“ einen Pädophilen, der in ein kleines Mädchen verliebt ist, und auch dieses seltsame Paar betrachtet Glasner recht verständnisvoll.
Jens Albinus ist ein Däne, den man hierzulande aus den Lars-von-Trier-Filmen „Idioten“, „Dancer in the Dark“ und der Fernsehserie „Der Adler“ kennt. Im Film lebt er seine Neigungen nicht wirklich aus – und das erleichtert es natürlich auch dem Zuschauer, sich mit diesem Chris zu identifizieren.
Weniger Hemmungen hat sein Freund Holger. Jürgen Vogel gibt ihn wagemutig als echten Antipathieträger, der sich von der neunjährigen Jenjira (Lisa Nguyen) oral befriedigen lässt. Holger und Chris verdienen Geld damit, in Vietnam Kinder aus Bordellen zu kaufen und sie dann an verzweifelte, adoptionswillige Paare in Europa weiterzuvermitteln.
Für Chris ist das, bei allem Geschäftssinn, wohl auch eine Art verquere Wiedergutmachung, mit der er sich für seine verhängnisvollen Neigungen kasteit. Das florierende Geschäft der beiden Männer kommt ins Stocken, als sie das Lösegeld für Jenjira nicht auftreiben können und Chris sie aber dennoch nicht einfach so an ihre asiatischen Zuhälter zurückgeben will.
Bald kommt es zu gewalttätigen Verwicklungen mit den vietnamesischen Gangstern, aber auch Chris’ Nachbarn und das Jugendamt werden misstrauisch gegenüber dem mittelalten Europäer, der mit seiner angeblichen „Tochter“ in einem Berliner Plattenbau lebt.
So landet Chris im Verhörzimmer der Kommissarin Maggie (Corinna Harfouch), einer Alkoholikerin, die es noch nicht mal schafft, auf der Hochzeit ihrer in eine spießige Traumehe flüchtenden Tochter nüchtern zu bleiben und deren wichtigster Halt im Leben ihre ebenfalls dauerbetrunkene Bettbekanntschaft Jörg (Ernst Stötzner) ist.
Maggies Leben geriet aus der Bahn, als sie vor 16 Jahren ganz plötzlich von ihrem Gatten verlassen wurde. In einer Rückblende sieht man sie im Auto über den damals noch unbebauten Potsdamer Platz fahren – ein realistisch aussehendes Meisterstück aus der digitalen Fabrikation künstlicher Welten vermutlich.
Die beiden Haltlosen Maggie und Chris geraten in den langen Verhören aneinander, die die Scharniere der Filmhandlung bilden. Die gekachelten Räume, in denen sich diese Szenen abspielen, sehen aus wie ehemalige Duschräume oder Metzgereien einer verlassenen Russenkaserne in Brandenburg.
Genauso schafft es die Kamerafrau Sonja Rom (mit der Regisseur Glasner auch bei seinen Fernseharbeiten für die Serie „Kriminaldauerdienst“ zusammenarbeitet), dem ganzen Film einen paradoxen Look zu verpassen: unrealistische Orte, die realistisch aussehen und realistische Orte, die unrealistisch aussehen – wie die Waldhütte am See, in der Holger und Jens sich mit Jenjira verstecken, oder das Rotlichtviertel von Saigon.
Alle Menschen in diesem Film sind von einer tiefen andauernden Verzweiflung zerfressen: Maggie, Chris, aber auch Maggies Kollege Roland, der sie heimlich brennend liebt (Devid Striesow macht daraus wieder einmal ein Meisterstück der Darstellung unter einer Spießermaske verborgener Trauer), oder ihre Tochter, die in ihrem noch recht kurzen Leben schon gewaltige Lügen aufrecht erhalten musste.
Chris wird zum Sympathieträger, weil er sich eine seltsame Unschuld bewahrt hat. Nicht nur Holger wirkt neben ihm wie ein Kotzbrocken, sondern auch sein durchtrainierter alter Kapitalistenvater, der eigentlich nichts Schlimmeres getan hat, als seine Frau zu verlassen und in den Wahnsinn zu treiben – ein rechtlich unanfechtbarer Vorgang.
Sympathie für den Außenseiter
In seiner Sympathie für den Außenseiter ähnelt „This Is Love“ dem Siebzigerjahreklassiker „Taxi Driver“, der ja auch von der Liebe eines gewalttätigen Freaks zu einer Kinderhure erzählte. Deutlich über das Gewohnte hinaus geht Glasner aber, wenn er andeutet, dass sich auch Jenjira in Chris verliebt hat und dass diese Liebe vielleicht das einzige noch Reine in der zerrütteten Seele dieses äußerlich noch so liebreizenden Kindes sein könnte.
Ganz zum Schluss gönnt er den beiden eine zarte, vielsagende Berührung der Hände. Man hat sogar das Gefühl, dass Glasner diese Liebe für die einzige reine im Film hält.
Für eineinhalb Stunden im Kino ist man bereit, sich auf diesen Skandal einzulassen, und wie jeder radikale Abschied von der Konvention tut auch diese Provokation der Kunst nur gut. „This Is Love“ ragt weit über die meisten deutschen Produktionen hinaus, in denen Sympathie und Empörung doch sehr vorhersagbar verteilt werden.
Aber bald nachdem man das Kino verlassen hat, denkt man doch wieder: Wenn Liebe tatsächlich nur zwischen einem kleinen Kind und einem kranken Mann möglich sein sollte, dann ist auf die Liebe gepfiffen! Dann ist Romantik vielleicht eine Form von Geisteskrankheit und Vernunftehe die neue Utopie.